Sonntag, 2. Dezember 2012

Zum 40. Todestag von Yip Man

Heute vor 40 Jahren erlag Yip Man seinem Krebsleiden.
Ich möchte daher einige Zeilen seinem Andenken widmen.

Yip Man wurde am 14. Oktober 1893 während der Ching Dynastie in Fut Shan und nach den chinesischen Tierkreiszeichen im Jahre der Schlange im Element Wasser geboren.
In seinen charakterlichen Eigenschaften erwies er sich als typischer Schlange-Mensch, denen nachgesagt wird, sie seien reich an Weisheit und Charme und romantische Menschen und tiefsinnige Denker, die sich stark von ihrer Intuition leiten lassen. Auch gelten Schlangen oftmals als eigenbrötlerisch, denn sie erledigen ihre Sachen zurückgezogen und für sich. Aus diesem Grund werden Schlangen häufig von ihren Mitmenschen gemieden - sie können einfach nicht mit ihrem Argwohn und mit ihrer Verschwiegenheit umgehen. Schlangenmenschen sind geschickte Arbeiter, die an einer Sache so lange herumtüfteln, bis sie ihren Vorstellungen entspricht. Schlangen legen großen Wert auf Äußerlichkeiten, dadurch fühlen sie sich oftmals stark zu attraktiven und eleganten Menschen hingezogen. Menschen mit dem Geburtsjahr der Schlange haben eine Art innerer Schönheit, die mit dem Alter immer mehr zum Vorschein kommt.
So sagt man auch über Yip Man, dass er wenig übrig hatte für die Eitelkeiten dieser Welt. An Ruhm und Reichtum lag ihm nichts. Auch fehlte ihm das rüde und menschenverachtende Auftreten, das so manche Kung-Fu-Leute pflegen. Wer den Vorzug hatte, Yip Man kennenzulernen, fühlte sich in seiner Gesellschaft sofort entspannt und wie zu Hause. Seine Herzlichkeit, Aufrichtigkeit und Gastfreundschaft wurden in allen Handlungen offenbar. Seine Unterhaltungen im Fatshan-Dialekt spiegelten sein sorgloses und freundliches Naturell. Man konnte ihn wahrscheinlich als Gentleman und Gelehrten bezeichnen.

Einer der berühmtesten Schüler Yip Mans war Bruce Lee, den er von 1955 - 1957 in Kowloon unterrichtete. Als Bruce Lee nach knapp drei Jahren seinen Unterricht bei Yip Man nicht mehr fortsetzen konnte, da er Hongkong verließ, um in den USA ein akademisches Studium zu beginnen, ließ sein Abschied von dem Großmeister noch nicht auf eine endgültige Trennung schließen, auch wenn es bereits Anzeichen für eine Missstimmung gab. So ermahnte Yip Man Bruce Lee vor dessen Abreise, dass Kung Fu zu den höchsten chinesischen Künsten zähle, dass Chinesen diese Techniken für sich behalten müssten, um sich zu verteidigen und die Gesundheit zu erhalten. Und dass deshalb die Techniken des chinesischen Kung-Fu Ausländern nicht ohne Vorbehalt gezeigt werden sollten. Bruce Lee versprach, sich daran zu halten. Aber sobald er in Amerika ankam, eröffnete er eine Kampfschule, nahm ausländische Schüler an und brachte ihnen Wing Chun-Techniken bei. Yip Man war darüber sehr erstaunt und enttäuscht.
Nachdem Bruce Lee im Sommer 1965 mit seinem Ansinnen, während eines Besuches bei Yip Man den letzten Teil der Holzpuppentechniken erlernen zu können, gescheitert war, obwohl er dem Großmeister eine hohe Summe Geldes (im Wert einer neuen Eigentumswohnung) geboten hatte, kehrte er enttäuscht nach Amerika zurück und unterrichtete fortan kein Wing Chun mehr, sondern begann, sein eigenes Kampfsystem zu entwickeln, das er später unter dem Namen "Jeet Kune Do" zusammenfasste und dessen Basis allerdings das Wing Chun bildete.
Yip Man hatte ihm seine Bitte abgeschlagen, weil Bruce Lee einen großen Fehler begangen hatte:
Dadurch, dass er zu viel von Geld sprach, verletzte er die Gefühle seines Lehrmeisters! Deshalb wies ihn Großmeister Yip Man mit den Worten ab: „Ich kann dir das nicht zusagen; denn du bist nicht mein einziger Schüler, und ich habe niemals irgendeinem Schüler solche Zusicherungen gemacht. Was sollte ich den anderen sagen, wenn ich dein Angebot annähme?“
Nach dieser Zurückweisung durch Yip Man wandte sich Bruce Lee an dessen älteren Sohn Yip Chung um Hilfe. Der aber soll ihm nach eigenen Angaben gesagt haben. „Es ist wahr, dass wir in Armut und Not leben, seit wir vor zehn Jahren nach Hongkong kamen. Wir haben nicht einmal ein Haus, um darin zu wohnen. Dein Angebot, uns eine Eigentumswohnung zu geben, würde unsere Not natürlich lindern. Aber es gibt noch Wichtigeres im Leben des Menschen als ein bequemes Leben und materielle Dinge, und mein Vater hat einen starken Willen und sein Urteil ist unabänderlich. Das wissen wir beide sehr gut. Wenn er dein Angebot ablehnte, kann ich ihn nicht umstimmen.“

Eine der letzten Maßnahmen, um Wing Chun zu fördern, bestand darin, dass Yip Man 1967 mit Hilfe seiner Schüler die „Hong Kong Ving Tsun Athletic Association“ gründete.
Zwei Jahre später, also 1969, schickte dieser Verband ein Team von Kämpfern zum „First South East Asia Kung Fu-Tournament“, das in Singapore veranstaltet wurde. Das Team schnitt nicht so erfolgreich ab, wie der Verband es erwartet hatte. Deshalb kehrte Yip Man zurück, eröffnete mehr Klassen und senkte auch die Unterrichtsgebühren. Vorher konnte aufgrund der hohen Schulgebühren nur die privilegierte Klasse Wing Chun lernen. Nun erfolgte ein reger Zustrom auch der unteren Klassen, wodurch der Bekanntheitsgrad des Wing Chun wuchs. Im Mai des Jahres 1970, als der Unterricht in allen Klassen zufriedenstellend lief, zog sich Yip Man endgültig vom öffentlichen Unterrichten zurück.
Danach fand man ihn üblicherweise morgens, nachmittags und sogar abends im Teehaus, wo er viel mit seinen Schülern scherzte und sich ganz und gar nicht wie ihr Meister aufführte. „Weshalb soll ich mich selbst so wichtig nehmen und mir auf meine Position etwas einbilden?“, lautete seine Philosophie. „Die anderen Leute sollen darüber entscheiden, ob ich etwas geleistet habe.“

1972 hatte das Schicksal den sorglosen alten Mann eingeholt. Er bot eine Bild von körperlichem Verfall und zunehmender Schwäche. Eine ärztliche Untersuchung ergab die Diagnose Kehlkopfkrebs. Dennoch bekämpfte er die Krankheit optimistisch und mit großer Willenskraft. Er ging weiterhin ins Teehaus und dinierte abends mit seinen Schülern. Niemals hörten seine Schüler ihn klagen, denn er wollte ihr Mitleid nicht und sah seinem Ende gefasst entgegen.
Eines Tages bei einem Krankenhausaufenthalt teilte ihm der Arzt, auch einer seiner Schüler, mit, dass sein Ende unmittelbar bevorstand. Aber Yip Man konnte den Tod noch ein letztes Mal abwehren und kehrte nach einer Woche gekräftigt nach Hause zurück.
Aber dieser Sieg war nur von kurzer Dauer. Am 2. Dezember 1972 starb Yip Man, der letzte Großmeister des gesamten Wing Chun-Stils, im Jahr der Ratte. Er hinterließ uns ein geniales Kampfsystem und viele faszinierende Anekdoten.

In den letzten Jahren wurde der Großmeister einem weiten Publikum, das sich nicht unbedingt nur aus Wing Chun - Enthusiasten zusammensetzt, durch die "Ip Man" - Filme bekannt, die einige Lebensstationen dieses herausragenden Kampfkünstlers nachzuzeichnen bestrebt sind, auch wenn in diesen Filmen der Gehalt an Dichtung und Fiktion den Anteil von Wahrheit freilich zugunsten dramaturgischer Kniffe deutlich übersteigt.
Dennoch muss man diesen Filmen zugute halten, dass darin einerseits wirklich Wing Chun - Techniken gezeigt werden und andererseits vor allem, dass Yip Man dadurch ein bleibendes filmisches Denkmal gesetzt worden ist.

Das größte und schönste Denkmal hat sich Yip Man jedoch schon längst selbst gesetzt:
Durch seine Überarbeitung des Wing Chun hat er das System so weit modernisiert, dass diese exzellente Kampfkunst auch heute noch zu Recht zu den effektivsten Kampf- und Selbstverteidigungssystemen auf der ganzen Welt zählen darf. So lebt der Geist Yip Mans in jedem Wing Chun - Ausübenden und in der Gesamtheit dieser Kampfkunst auch heute noch weiter. Eine schönere Form der Unsterblichkeit kann man sich wohl kaum wünschen.

In diesem Sinne verneigt sein Haupt voller Respekt und Demut und in tiefer Dankbarkeit für diesen großartigen Kampfkünstler

Euer Sifu Kai

P.s.: Ein Großteil der Informationen über Yip Man entstammt dem Buch "116 Wing Tsun Holzpuppen-Techniken", welches im Wushu-Verlag erschienen ist und inzwischen als Liebhaberausgabe gilt.



Samstag, 1. Dezember 2012

Die gute Idee für den Monat Dezember

Liebe Mitlesende,

an dieser Stelle beabsichtige ich, zu Beginn jedes Monats eine "gute Idee" zu präsentieren, deren Befolgung eine Steigerung der Lebensqualität beziehungsweise des allgemeinen Gesundheitsgefühls nach sich ziehen sollte. Selbstverständlich steht es jedem frei, diesen Ratschlag auch als für sich selbst nicht kompatibel zu verwerfen. Schließlich gleicht kein Individuum in seinen Empfindungen und Bedürfnissen völlig dem anderen, und auch ich bin "nur" ein Mensch und daher vor Irrtümern nicht gefeit, wie schon der Lateiner so treffend feststellte: "Errare humanum est"...

Für den Monat Dezember gilt ja, dass die kommenden Wochen von der Adventszeit und damit verbunden von der Vorfreude auf das Weihnachtsfest geprägt sein werden. Nun freuen sich Erwachsene meist - wenn überhaupt noch - in einer anderen Weise auf Weihnachten, als es die Kinder denn tun. Für Kinder steht ja häufig die Freude auf Geschenke im Vordergrund, und niemand wird ihnen diese kindliche Freude verdenken wollen, ist die (hoffentlich noch einigermaßen) unbeschwerte Kinderzeit doch ohnehin viel zu rasch vorbei.
Erwachsene hingegen geraten viel zu oft in Stress, wenn es darum geht, möglichst passende Geschenke aufzutreiben und die Feierlichkeiten an den Festtagen vorbereiten und organisieren zu müssen.
Auch die Medien und vor allem die Werbung tragen leider dazu bei, dass Weihnachten immer mehr zu einem einzigen Wettbewerb der Konsumorientierung verkommt. Dabei gerät der wahre Sinn des Weihnachtsfestes zunehmend in Vergessenheit. Nun will ich hier keine Moralpredigten in punkto christlicher Heilslehre halten, denn das würde den ursprünglichen Zweck dieses Blogs verfehlen und mitunter manche Leser, die nicht in einer christlichen Religion verwurzelt sind, schlimmstenfalls sogar vergraulen. Aber ich möchte hier einmal aufzeigen, wie man die Adventszeit auch für das Finden der eigenen Mitte, was schließlich für die Kampfkunst von einiger Bedeutung ist, nutzen kann.

Mein Tip für den Monat Dezember lautet daher wie folgt:
Nehmt Euch ganz bewusst die Zeit, den Advent zu zelebrieren. Wenn Ihr mal für eine halbe Stunde am Tag die sonst so alltäglichen Zerstreuungen der Freizeit fallen lasst und stattdessen bei einer Tasse Tee oder Kaffee und gerne auch mit etwas Gebäck und mit den Personen, die Euch am Herzen liegen, an einem mit Kerzen dekorierten Tisch zusammenkommt, dann werdet Ihr schnell merken, welche Stille auch in Eurem eigenen Inneren Einzug halten kann. Entschleunigung lautet in diesem Zusammenhang das Schlagwort.
Das Betrachten einer Kerze kann sehr gut zur Meditation dienen. Wenn man in das warme Licht hineinschaut und den Rhythmus des eigenen Atems und des eigenen Herzschlages wahrnimmt, wird man mit ein wenig Glück eine Ahnung vermittelt bekommen von dem Zustand einer harmonischen Grundzufriedenheit, die uns Menschen in unserer immer stärker technisierten und von Termindruck dominierten Gesellschaft bedauernswerterweise mittlerweile in weiten Teilen schon abhanden gekommen ist.
Lasst Euch entführen von dem Zauber der Adventszeit, versucht einmal, die Ruhe zu spüren, die Ihr Euch ganz bewusst selbst verordnen solltet. Und vielleicht gelingt es ja manchem sogar, einen Hauch des Empfindens aus fernen Kindertagen wiederzubeleben...
Der Advent sollte eine Zeit des Innehaltens sein; auch das Nachdenken über das wieder einmal in Windeseile vorübergerauschte Jahr ist in diesen Wochen durchaus erlaubt. Und man sollte diese Zeit der Stille nutzen, um neue Kräfte zu tanken für das neue Jahr, das bereits ungeduldig in den Startlöchern steht.
Umgebt Euch mit Menschen, die Ihr gerne habt und die Euch ein angenehmes Gefühl vermitteln können und meidet möglichst zu viel Ärger und all diejenigen Zeitgenossen, die nichts anderes zu tun zu haben scheinen, als einem das Leben nach Strich und Faden zu vergällen.
Horcht in der Stille in Euch hinein, findet wieder mehr zu Euch selbst und entsagt einmal ganz entschieden der Fremdbestimmtheit. Denn wenn Ihr diese grundlegende Harmonie des eigenen Wesens gefunden haben solltet, dann werdet Ihr auch eine positive Veränderung Eurer Kampfkunst wahrnehmen können, ganz gleich, ob es sich nun um den Formenlauf, anderes alltägliches Training oder um Partnerübungen (wie beispielsweise das Chi Sao) handelt.

Genießt einfach die Adventszeit und lasst Weihnachten zu dem geraten, als was es eigentlich ursprünglich gedacht gewesen ist - als ein Fest der Liebe.

In diesem Sinne wünscht Euch allen eine schöne, besinnliche und friedliche Adventszeit,

Euer Sifu Kai


Dienstag, 27. November 2012

Zum Geburtstag von Bruce Lee

72 Jahre wäre er heute alt geworden - Bruce Lee, schon längst eine Legende innerhalb der Kampfkunstszene, aber auch ein Idol für viele Kampfkunstinteressierte.
Wie viele Menschen werden durch Bruce Lees Filme erst den Weg zur Kampfkunst gefunden haben?
Und dabei hat er ja lediglich fünf Filme gedreht, wovon einer sogar unvollendet bleiben musste.
Aber nicht nur in seinen Filmen hat er einen Maßstab gesetzt, der nach seinem viel zu frühen Dahinscheiden nicht mehr zu halten gewesen ist ( so hat Jackie Chan einmal in einem Interview zu verstehen gegeben, dass er keine Möglichkeit sehe, an die eher realitätsorientierten und von knallharter Action dominierten Filme Bruce Lees anzuknüpfen, weswegen er sich darauf verlegt habe, in seinen Streifen komödiantische und arg akrobatische Aspekte mit einfließen zu lassen ), sondern er hat auch - und das ist aus Sicht eines praktizierenden Kampfkünstlers höher zu bewerten - die gesamte Kampfkunstwelt revolutioniert und mit einem frischen Geist belebt, von dem 40 Jahre nach seinem Wirken immer noch weite Kreise innerhalb der Budo-Szene profitieren. So betonte Bruce Lee selbst ja immer, dass er in erster Linie Kampfkünstler sei und dass die Schauspielerei für ihn eher eine Möglichkeit biete, sich als Mensch, als Individuum auszudrücken. Und gerade darin liegt ja eine der Hauptforderungen seines Jeet Kune Do: Jeder Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, sich selbst in seiner Einzigartigkeit zu erfahren und ausdrücken zu lernen. Zu diesem Zwecke mussten freilich die altbekannten und nur zu oft schon völlig ausgetretenen Pfade verlassen werden.

Es gab damals Stimmen ( und auch heute noch werden sie vereinzelt laut ) die behaupteten, Bruce Lee würde mit seiner Öffnung für die westliche Welt und später dann durch sein Aufnehmen diverser Einflüsse aus Stilen, die nicht dem weitgefächerten Angebot der chinesischen Kampfkünste entstammten, das "Kung Fu" verraten und einen Schaden speziell für die chinesische Kampfkunst hervorrufen.
Wer jedoch bereit ist, seinen Blick über die Grenzen des eigenen Stiles / Systemes zu erheben, der wird feststellen, dass diese Anschuldigungen haltlos sind. Ebenso wie über einer dichten Nebelwand und über den noch so trübesten Wolken der blaue Himmel und der lichteste Sonnenschein vorherrschen, so kann man auch eine wahrhaftige ErLEUCHTung erfahren, wenn man einmal über den Tellerrand schaut und sich selbst die Chance einräumt, den eigenen Horizont zu erweitern.

Bruce Lees solide Basis, auf der er seine persönliche Kampfkunst ( die übrigens in der Tat mit ihm gestorben ist ) weiterentwickelte, war das Wing Chun, das er in der Schule des letzten allgemein anerkannten Großmeisters dieses Systemes, Yip Man, erlernte. Jedoch darf man nicht vergessen, dass die Gesamtheit des Wing Chun - Systems Bruce Lee verschlossen blieb, da er seinen Unterricht bei Yip Man aufgrund seines Übersiedelns in die USA nicht beenden konnte. So lernte er beispielsweise nicht mehr die letzten Sektionen der Holzpuppenform (Mok Yan Chong Fa) und bot später Yip Man eine sehr große Summe Geldes, um diese Lücke noch schließen zu können, wurde jedoch von dem Großmeister abgewiesen, der von der inzwischen stark westlich geprägten Lebensart und dem "veramerikanisierten" Denken Bruce Lees enttäuscht und abgestoßen war. Als Bruce Lee merkte, dass er daher niemals die "Nummer 1" im Wing Chun werden konnte, vertiefte er seine theoretischen wie praktischen Studien verschiedener anderer Kampfkunststile und fand so allmählich den Weg zu seinem Jeet Kune Do.

Wer weiß, wie sich Bruce Lees Betrachtungen der Kampfkunst weiterentwickelt hätten, wäre er nicht so früh und unerwartet von dieser Erde abberufen worden?!
Auch wenn ich bereits erwähnte, dass seine persönliche Art des Kämpfens mit Bruce Lee gestorben ist, so hat er dennoch der Nachwelt durch seine Idee des Jeet Kune Do ein Instrument an die Hand gegeben, das nicht genug gepriesen und gelobt werden kann. Denn er hat deutlich und nacherlebbar gemacht, dass sich das Kämpfen stetig weiterentwickelt. Dadurch ist es ihm gelungen, in weiten Teilen der Kampfkunstszene ein Umdenken herbeizuführen, indem alte Dogmen und Theorien kritisch hinterfragt und teilweise behutsam durch neue Impulse ergänzt worden sind. Und nur so war es möglich, dass die Kampfkunst auch in der westlichen Welt nach wie vor überleben und ernst genommen werden konnte.
Bruce Lee hat nicht nur die Grenzen der Kampfkunst mit Hinblick auf viele traditionelle Stile und deren Anwendbarkeit für das reale Kämpfen aufgezeigt, nein, er hat vor allem eben der gesamten Budo-Szene eine Frischzellenkur verabreicht und auf vielen Feldern geradezu wie ein Jungbrunnen gewirkt, wovon heute noch diverse Kampkünstler und Kampfsportler profitieren.

Allein schon dafür gebührt ihm der höchste Respekt und der größte Dank.

In Demut sein Haupt vor diesem Ausnahme-Kampfkünstler neigend, verbleibt

Euer Sifu Kai

Donnerstag, 15. November 2012

Tagesform beim Formenlauf ?

Viele Kampfkunststile / -systeme weisen als einen wichtigen Baustein des großen Ganzen den Formenlauf auf. Das trifft auf Kung Fu (Kuen) ebenso zu wie auf Karate (Kata) oder Taekwondo (Poomse, Hyong).
Jeder Kampfkunstausübende, der sein eigenes Vorankommen in der Kunst ernstnimmt, sollte den Formenlauf nicht vernachlässigen und möglichst täglich eine der erlernten Formen laufen.
Diese Forderung klingt nicht gerade nach viel und schon gar nicht nach einer Über-Forderung. Dennoch kennt sicher jeder Mensch den stetig lauernden "inneren Schweinehund", der einem nur zu gerne triftige Gründe liefert, das Training zu vernachlässigen und den täglichen Formenlauf einmal ausfallen zu lassen.
Nun mag man argumentieren: Einmal ist keinmal! Aber nur zu schnell schleicht sich eine Routine der Bequemlichkeit ein, bis dass der Formenlauf dann nur noch alle paar Tage praktiziert wird.
Dieser Gefahr gilt es vorzubeugen.

Folgende Denkanstöße sollen helfen, den Formenlauf als tägliche Dosis Wohlbefinden kennenzulernen und quasi eine "Sucht" nach dem täglichen Beschäftigen mit der Kampfkunst zu entwickeln:

1. Setze dich nie unter einen Leistungsdruck!
Begreife den Formenlauf als eine ideale Möglichkeit, völlig in Harmonie und Einklang von Körper und Seele deines Selbst zu kommen. Genieße die Minuten, die du mit der Beschäftigung mit deiner Leidenschaft zubringst. Schalte alle Gedanken aus, die sich nicht mit der Wahrnehmung deines Körpers und mit der Kampfkunst befassen. So erreichst du einen Zustand der Meditation in Bewegung.

2. Vergleiche dich nicht mit anderen!
Der Formenlauf ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Jeder akzentuiert innerhalb der vorgeschriebenen Bewegungsabläufe die Techniken ein wenig anders. Sei ganz du selbst. Entfalte deine Persönlichkeit.

3. Vergleiche dich nicht mit dir selbst!
Was zuerst wie ein Paradoxon klingt, fußt dennoch auf einem tieferen Sinn und Erfahrungswert.
Denn in der Tat ist es so, dass man beim Formenlauf - wie bei praktisch allen Dingen des Lebens - eine Tagesform aufweist. Speziell fortgeschrittenere Kampfkünstler, die sich schon weiter von den bloßen Formalitäten des Formenlaufes entfernt und eine gelöste Routine entwickelt haben, so dass der Geist sich frei entfalten und zu höheren Sphären hinaufschwingen kann, werden mir beipflichten, wenn ich nun konstatiere, dass man ein und dieselbe Form an aufeinanderfolgenden Tagen meist nie auf die gleiche Art und Weise ausübt. Akzente werden anders gesetzt, der Rhythmus wird verändert, der Krafteinsatz wird häufig variieren. Das hängt ganz einfach von den Stimmungslagen ab, denen auch wir Kampfkünstler unterworfen sind und denen wir uns ebensowenig wie andere Menschen entziehen können.
Mal fühlen wir uns sehr impulsiv und vor Energie strotzend, schon wird auch der Formenlauf sehr kraftbetont und mit raschen Tempiwechseln ausgeübt werden.
Ein andermal verspüren wir eher eine große innere Gelassenheit und Ruhe, und dementsprechend wird auch die jeweilige Form dann wohl eher gemächlicher und mehr meditativer vom Charakter her angegangen werden.
Alles das lässt aber keine Aussage über die Qualität des Formenlaufes zu. Man kann nicht sagen, der kraftbetontere Formenlauf wäre der entspannteren und meditativeren Variante vorzuziehen.
Es hängt ganz vom Individuum und dessen Befinden zum Zeitpunkt des Formenlaufes ab.
Das ist der einzige Maßstab. Wenn sich das Befinden in der Form widerspiegelt, wenn Geist und Körper auf harmonischem Wege zu einer Einheit verschmelzen - dann ist der wahre Sinn des Formenlaufes erfüllt und die Kampfkunst erwacht aus der ansonsten bloßen Erstarrung in Doktrinen und Maximen zu einem dem Menschen und dessen Gesundheit dienenden Leben.

Was folgt also als Fazit?
Die Kampfkunst und deren wichtiger Eckpfeiler, der Formenlauf, müssen immer vom Standpunkt der sich stetig entwickelnden und verändernden Gegebenheiten des Lebens betrachtet werden.
Wer nur auf die äußere Form schielt und sich in Familientraditionen und Überlieferungen verliert, wird niemals zum wahren Kern der Kampfkunst vorstoßen können. Ohne Zweifel stellt gerade in den chinesischen Kampfkünsten die Abstammungslinie und die Vererbbarkeit innerhalb der Stilrichtungen und Familien eine sehr große Bedeutung dar. Und keinesfalls sollte man mit diesen Traditionen brechen oder sich über sie lustig machen. Doch man darf auch nicht vergessen, dass sich die Realitäten des Kampfes immer weiterentwickeln und verändern. Was vor zweihundert Jahren galt, muss heute nicht mehr unbedingt sinnvoll erscheinen.
Daher wird immer eine behutsame Anpassung an die aktuellen Realitäten notwendig sein, ebenso wie eine tägliche Anpassung an das eigene Befinden beim Formenlauf unabdingbar ist.
Dadurch wird die Kampfkunst an sich, werden die altüberlieferten Stile und Systeme jedoch keinesfalls "verwässert" oder verfälscht. Vielmehr bietet eine solche Herangehensweise an die Kampfkunst die einzige Möglichkeit, das Überleben der Kampfkunst zu sichern und selbst jahrhundertealten Traditionen eine blühende Zukunft zu eröffnen. Denn letztendlich ist das doch das einzige, was zählt, sei es nun in Hinblick auf den Formenlauf und die Kampfkunst oder auf all die kleinen und großen Dinge des Alltags: das Anreichern mit Leben.

Mittwoch, 14. November 2012

Selbstvorstellung und erste Worte

Hallo und herzlich willkommen auf meinem neuen Blog, in welchem ich in loser Folge Gedanken zur Kampfkunst und Selbstverteidigung präsentieren werde.
Ich bin Sifu Kai und widme mich seit meinem 17. Lebensjahr dem Budo-Sport.
In den vergangenen 18 Jahren habe ich unterschiedliche Stilrichtungen und Systeme kennengelernt und ausprobiert, und immer war ich dabei von dem Wunsch beseelt, Techniken und Verhaltensweisen erlernen zu können, die mir eine effektive Selbstverteidigung im Falle einer Notwehrsituation ermöglichen würden.
So bin ich in der Vergangenheit mit dem westlichen Boxen, dem Jujutsu, dem ATK (Anti Terror Kampf), dem Taekwondo, dem Kickboxen (WAKO) und den FMA (Filipino Martial Arts) sowie dem JKD (Jeet Kune Do) in Kontakt gekommen und habe in einigen dieser Stile / Systeme auch Graduierungen erringen können.
Im Jahre 2004 habe ich eine von der IHSDO initiierte Ausbildung zum Diplom-Trainer für WDS ( Weapon Defense System ) erfolgreich abgeschlossen und gründete im darauffolgenden Jahr 2005 mein eigenes Selbstverteidigungssystem, das Everyday Life Combat / Reality Fighting, in das nicht nur meine Erkenntnisse aus diversen Budo-Stilen, sondern auch meine Erfahrungen während meiner Zeit bei der Berliner Polizeibehörde (Ausbildung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst 1997 - 2001) mit einflossen.
Die theoretischen Grundlagen zu diesem System habe ich in Buchform niedergeschrieben und im Selbstverlag veröffentlicht.
2006 / 2007 absolvierte ich eine Ausbildung zum Trainer für Thai-Kick-Boxen bei der MAA-I, und von 2007 bis 2009 ließ ich mich bei selbigem Dachverband zum Lehrer für Tai Chi und Qi Gong ausbilden.
Nachdem ich seit 2002 Unterricht im Wing Chun Kung Fu (anfänglich in einer Berliner WT-Schule, ab 2003 dann immer regelmäßiger und später dann ausschließlich im Rahmen von Privatunterricht bei meinem Sifu, dem ich nach wie vor sehr verbunden bin und der systemübergreifend, das heißt unter den verschiedenen Wing Chun - Linien vermittelnd, lehrt und nicht der EWTO oder der IWTA angehört) erhalten hatte, wurde ich im März 2012 von meinem Sifu als eigenständiger Lehrer anerkannt und habe mich im April 2012 als Sifu für Wing Chun bei der MAA-I registrieren lassen. Ich vertrete in der Tradition meines Sifu eine Auffassung des Wing Chun, die sich an der Yip Man - Version orientiert, in die aber auch Elemente aus der Linie der Lo Familie mit einfließen. Generell halte ich den Streit um das legitime Erbe in der Nachfolge des letzten allgemein anerkannten Großmeisters des Wing Chun, Yip Man, für verwerflich und kontraproduktiv, und stelle lieber die Verwandtschaft und verbindenden Elemente der großen Wing Chun - Familie in der Vordergrund. Daher habe ich neben dem Unterricht bei meinem Sifu unter seiner Zustimmung auch Seminare der EBMAS und der IWKA besucht, um nicht "betriebsblind" zu werden und immer offen für neue Anregungen zu bleiben.
Ich selbst gebe meine Kenntnisse in Form von Privatunterricht in meinem eigenen kleinen Kwoon, dem "Little Dragon Dojo" (ja, ich habe diesen Namen in Anlehnung an die in unseren Breitengraden gebräuchlichste und nach japanischem Terminus klingende Bezeichnung für eine Trainingsstätte der Kampfkünste schon lange vor meiner Tätigkeit als Sifu gewählt, ebenso hätte ich es nach koreanischer Manier auch Dochang nennen können...) in Berlin - Steglitz an einen Kreis von interessierten und disziplinierten Menschen weiter, den ich immer gerne zu erweitern bereit bin, sofern die grundlegenden Werte und ethischen Normen der Kampfkünste von meinen Privatschülern auch akzeptiert und respektiert werden.

In diesem Blog werden also in der Folgezeit immer wieder meine persönlichen Gedanken zur Kampfkunst veröffentlicht werden, die ich nicht als Belehrung, sondern viel mehr als Denkanstöße und Bereicherung der auch immer auf philosophischen Konzepten basierenden Kampfkunstwelt betrachtet sehen möchte.
In diesem Sinne freue ich mich schon jetzt auf interessierte und aufgeschlossene Leser und bin gespannt auf mögliche Kommentare und Anregungen zu meinen Veröffentlichungen.

Euer Sifu Kai