Sonntag, 2. Dezember 2012

Zum 40. Todestag von Yip Man

Heute vor 40 Jahren erlag Yip Man seinem Krebsleiden.
Ich möchte daher einige Zeilen seinem Andenken widmen.

Yip Man wurde am 14. Oktober 1893 während der Ching Dynastie in Fut Shan und nach den chinesischen Tierkreiszeichen im Jahre der Schlange im Element Wasser geboren.
In seinen charakterlichen Eigenschaften erwies er sich als typischer Schlange-Mensch, denen nachgesagt wird, sie seien reich an Weisheit und Charme und romantische Menschen und tiefsinnige Denker, die sich stark von ihrer Intuition leiten lassen. Auch gelten Schlangen oftmals als eigenbrötlerisch, denn sie erledigen ihre Sachen zurückgezogen und für sich. Aus diesem Grund werden Schlangen häufig von ihren Mitmenschen gemieden - sie können einfach nicht mit ihrem Argwohn und mit ihrer Verschwiegenheit umgehen. Schlangenmenschen sind geschickte Arbeiter, die an einer Sache so lange herumtüfteln, bis sie ihren Vorstellungen entspricht. Schlangen legen großen Wert auf Äußerlichkeiten, dadurch fühlen sie sich oftmals stark zu attraktiven und eleganten Menschen hingezogen. Menschen mit dem Geburtsjahr der Schlange haben eine Art innerer Schönheit, die mit dem Alter immer mehr zum Vorschein kommt.
So sagt man auch über Yip Man, dass er wenig übrig hatte für die Eitelkeiten dieser Welt. An Ruhm und Reichtum lag ihm nichts. Auch fehlte ihm das rüde und menschenverachtende Auftreten, das so manche Kung-Fu-Leute pflegen. Wer den Vorzug hatte, Yip Man kennenzulernen, fühlte sich in seiner Gesellschaft sofort entspannt und wie zu Hause. Seine Herzlichkeit, Aufrichtigkeit und Gastfreundschaft wurden in allen Handlungen offenbar. Seine Unterhaltungen im Fatshan-Dialekt spiegelten sein sorgloses und freundliches Naturell. Man konnte ihn wahrscheinlich als Gentleman und Gelehrten bezeichnen.

Einer der berühmtesten Schüler Yip Mans war Bruce Lee, den er von 1955 - 1957 in Kowloon unterrichtete. Als Bruce Lee nach knapp drei Jahren seinen Unterricht bei Yip Man nicht mehr fortsetzen konnte, da er Hongkong verließ, um in den USA ein akademisches Studium zu beginnen, ließ sein Abschied von dem Großmeister noch nicht auf eine endgültige Trennung schließen, auch wenn es bereits Anzeichen für eine Missstimmung gab. So ermahnte Yip Man Bruce Lee vor dessen Abreise, dass Kung Fu zu den höchsten chinesischen Künsten zähle, dass Chinesen diese Techniken für sich behalten müssten, um sich zu verteidigen und die Gesundheit zu erhalten. Und dass deshalb die Techniken des chinesischen Kung-Fu Ausländern nicht ohne Vorbehalt gezeigt werden sollten. Bruce Lee versprach, sich daran zu halten. Aber sobald er in Amerika ankam, eröffnete er eine Kampfschule, nahm ausländische Schüler an und brachte ihnen Wing Chun-Techniken bei. Yip Man war darüber sehr erstaunt und enttäuscht.
Nachdem Bruce Lee im Sommer 1965 mit seinem Ansinnen, während eines Besuches bei Yip Man den letzten Teil der Holzpuppentechniken erlernen zu können, gescheitert war, obwohl er dem Großmeister eine hohe Summe Geldes (im Wert einer neuen Eigentumswohnung) geboten hatte, kehrte er enttäuscht nach Amerika zurück und unterrichtete fortan kein Wing Chun mehr, sondern begann, sein eigenes Kampfsystem zu entwickeln, das er später unter dem Namen "Jeet Kune Do" zusammenfasste und dessen Basis allerdings das Wing Chun bildete.
Yip Man hatte ihm seine Bitte abgeschlagen, weil Bruce Lee einen großen Fehler begangen hatte:
Dadurch, dass er zu viel von Geld sprach, verletzte er die Gefühle seines Lehrmeisters! Deshalb wies ihn Großmeister Yip Man mit den Worten ab: „Ich kann dir das nicht zusagen; denn du bist nicht mein einziger Schüler, und ich habe niemals irgendeinem Schüler solche Zusicherungen gemacht. Was sollte ich den anderen sagen, wenn ich dein Angebot annähme?“
Nach dieser Zurückweisung durch Yip Man wandte sich Bruce Lee an dessen älteren Sohn Yip Chung um Hilfe. Der aber soll ihm nach eigenen Angaben gesagt haben. „Es ist wahr, dass wir in Armut und Not leben, seit wir vor zehn Jahren nach Hongkong kamen. Wir haben nicht einmal ein Haus, um darin zu wohnen. Dein Angebot, uns eine Eigentumswohnung zu geben, würde unsere Not natürlich lindern. Aber es gibt noch Wichtigeres im Leben des Menschen als ein bequemes Leben und materielle Dinge, und mein Vater hat einen starken Willen und sein Urteil ist unabänderlich. Das wissen wir beide sehr gut. Wenn er dein Angebot ablehnte, kann ich ihn nicht umstimmen.“

Eine der letzten Maßnahmen, um Wing Chun zu fördern, bestand darin, dass Yip Man 1967 mit Hilfe seiner Schüler die „Hong Kong Ving Tsun Athletic Association“ gründete.
Zwei Jahre später, also 1969, schickte dieser Verband ein Team von Kämpfern zum „First South East Asia Kung Fu-Tournament“, das in Singapore veranstaltet wurde. Das Team schnitt nicht so erfolgreich ab, wie der Verband es erwartet hatte. Deshalb kehrte Yip Man zurück, eröffnete mehr Klassen und senkte auch die Unterrichtsgebühren. Vorher konnte aufgrund der hohen Schulgebühren nur die privilegierte Klasse Wing Chun lernen. Nun erfolgte ein reger Zustrom auch der unteren Klassen, wodurch der Bekanntheitsgrad des Wing Chun wuchs. Im Mai des Jahres 1970, als der Unterricht in allen Klassen zufriedenstellend lief, zog sich Yip Man endgültig vom öffentlichen Unterrichten zurück.
Danach fand man ihn üblicherweise morgens, nachmittags und sogar abends im Teehaus, wo er viel mit seinen Schülern scherzte und sich ganz und gar nicht wie ihr Meister aufführte. „Weshalb soll ich mich selbst so wichtig nehmen und mir auf meine Position etwas einbilden?“, lautete seine Philosophie. „Die anderen Leute sollen darüber entscheiden, ob ich etwas geleistet habe.“

1972 hatte das Schicksal den sorglosen alten Mann eingeholt. Er bot eine Bild von körperlichem Verfall und zunehmender Schwäche. Eine ärztliche Untersuchung ergab die Diagnose Kehlkopfkrebs. Dennoch bekämpfte er die Krankheit optimistisch und mit großer Willenskraft. Er ging weiterhin ins Teehaus und dinierte abends mit seinen Schülern. Niemals hörten seine Schüler ihn klagen, denn er wollte ihr Mitleid nicht und sah seinem Ende gefasst entgegen.
Eines Tages bei einem Krankenhausaufenthalt teilte ihm der Arzt, auch einer seiner Schüler, mit, dass sein Ende unmittelbar bevorstand. Aber Yip Man konnte den Tod noch ein letztes Mal abwehren und kehrte nach einer Woche gekräftigt nach Hause zurück.
Aber dieser Sieg war nur von kurzer Dauer. Am 2. Dezember 1972 starb Yip Man, der letzte Großmeister des gesamten Wing Chun-Stils, im Jahr der Ratte. Er hinterließ uns ein geniales Kampfsystem und viele faszinierende Anekdoten.

In den letzten Jahren wurde der Großmeister einem weiten Publikum, das sich nicht unbedingt nur aus Wing Chun - Enthusiasten zusammensetzt, durch die "Ip Man" - Filme bekannt, die einige Lebensstationen dieses herausragenden Kampfkünstlers nachzuzeichnen bestrebt sind, auch wenn in diesen Filmen der Gehalt an Dichtung und Fiktion den Anteil von Wahrheit freilich zugunsten dramaturgischer Kniffe deutlich übersteigt.
Dennoch muss man diesen Filmen zugute halten, dass darin einerseits wirklich Wing Chun - Techniken gezeigt werden und andererseits vor allem, dass Yip Man dadurch ein bleibendes filmisches Denkmal gesetzt worden ist.

Das größte und schönste Denkmal hat sich Yip Man jedoch schon längst selbst gesetzt:
Durch seine Überarbeitung des Wing Chun hat er das System so weit modernisiert, dass diese exzellente Kampfkunst auch heute noch zu Recht zu den effektivsten Kampf- und Selbstverteidigungssystemen auf der ganzen Welt zählen darf. So lebt der Geist Yip Mans in jedem Wing Chun - Ausübenden und in der Gesamtheit dieser Kampfkunst auch heute noch weiter. Eine schönere Form der Unsterblichkeit kann man sich wohl kaum wünschen.

In diesem Sinne verneigt sein Haupt voller Respekt und Demut und in tiefer Dankbarkeit für diesen großartigen Kampfkünstler

Euer Sifu Kai

P.s.: Ein Großteil der Informationen über Yip Man entstammt dem Buch "116 Wing Tsun Holzpuppen-Techniken", welches im Wushu-Verlag erschienen ist und inzwischen als Liebhaberausgabe gilt.



Samstag, 1. Dezember 2012

Die gute Idee für den Monat Dezember

Liebe Mitlesende,

an dieser Stelle beabsichtige ich, zu Beginn jedes Monats eine "gute Idee" zu präsentieren, deren Befolgung eine Steigerung der Lebensqualität beziehungsweise des allgemeinen Gesundheitsgefühls nach sich ziehen sollte. Selbstverständlich steht es jedem frei, diesen Ratschlag auch als für sich selbst nicht kompatibel zu verwerfen. Schließlich gleicht kein Individuum in seinen Empfindungen und Bedürfnissen völlig dem anderen, und auch ich bin "nur" ein Mensch und daher vor Irrtümern nicht gefeit, wie schon der Lateiner so treffend feststellte: "Errare humanum est"...

Für den Monat Dezember gilt ja, dass die kommenden Wochen von der Adventszeit und damit verbunden von der Vorfreude auf das Weihnachtsfest geprägt sein werden. Nun freuen sich Erwachsene meist - wenn überhaupt noch - in einer anderen Weise auf Weihnachten, als es die Kinder denn tun. Für Kinder steht ja häufig die Freude auf Geschenke im Vordergrund, und niemand wird ihnen diese kindliche Freude verdenken wollen, ist die (hoffentlich noch einigermaßen) unbeschwerte Kinderzeit doch ohnehin viel zu rasch vorbei.
Erwachsene hingegen geraten viel zu oft in Stress, wenn es darum geht, möglichst passende Geschenke aufzutreiben und die Feierlichkeiten an den Festtagen vorbereiten und organisieren zu müssen.
Auch die Medien und vor allem die Werbung tragen leider dazu bei, dass Weihnachten immer mehr zu einem einzigen Wettbewerb der Konsumorientierung verkommt. Dabei gerät der wahre Sinn des Weihnachtsfestes zunehmend in Vergessenheit. Nun will ich hier keine Moralpredigten in punkto christlicher Heilslehre halten, denn das würde den ursprünglichen Zweck dieses Blogs verfehlen und mitunter manche Leser, die nicht in einer christlichen Religion verwurzelt sind, schlimmstenfalls sogar vergraulen. Aber ich möchte hier einmal aufzeigen, wie man die Adventszeit auch für das Finden der eigenen Mitte, was schließlich für die Kampfkunst von einiger Bedeutung ist, nutzen kann.

Mein Tip für den Monat Dezember lautet daher wie folgt:
Nehmt Euch ganz bewusst die Zeit, den Advent zu zelebrieren. Wenn Ihr mal für eine halbe Stunde am Tag die sonst so alltäglichen Zerstreuungen der Freizeit fallen lasst und stattdessen bei einer Tasse Tee oder Kaffee und gerne auch mit etwas Gebäck und mit den Personen, die Euch am Herzen liegen, an einem mit Kerzen dekorierten Tisch zusammenkommt, dann werdet Ihr schnell merken, welche Stille auch in Eurem eigenen Inneren Einzug halten kann. Entschleunigung lautet in diesem Zusammenhang das Schlagwort.
Das Betrachten einer Kerze kann sehr gut zur Meditation dienen. Wenn man in das warme Licht hineinschaut und den Rhythmus des eigenen Atems und des eigenen Herzschlages wahrnimmt, wird man mit ein wenig Glück eine Ahnung vermittelt bekommen von dem Zustand einer harmonischen Grundzufriedenheit, die uns Menschen in unserer immer stärker technisierten und von Termindruck dominierten Gesellschaft bedauernswerterweise mittlerweile in weiten Teilen schon abhanden gekommen ist.
Lasst Euch entführen von dem Zauber der Adventszeit, versucht einmal, die Ruhe zu spüren, die Ihr Euch ganz bewusst selbst verordnen solltet. Und vielleicht gelingt es ja manchem sogar, einen Hauch des Empfindens aus fernen Kindertagen wiederzubeleben...
Der Advent sollte eine Zeit des Innehaltens sein; auch das Nachdenken über das wieder einmal in Windeseile vorübergerauschte Jahr ist in diesen Wochen durchaus erlaubt. Und man sollte diese Zeit der Stille nutzen, um neue Kräfte zu tanken für das neue Jahr, das bereits ungeduldig in den Startlöchern steht.
Umgebt Euch mit Menschen, die Ihr gerne habt und die Euch ein angenehmes Gefühl vermitteln können und meidet möglichst zu viel Ärger und all diejenigen Zeitgenossen, die nichts anderes zu tun zu haben scheinen, als einem das Leben nach Strich und Faden zu vergällen.
Horcht in der Stille in Euch hinein, findet wieder mehr zu Euch selbst und entsagt einmal ganz entschieden der Fremdbestimmtheit. Denn wenn Ihr diese grundlegende Harmonie des eigenen Wesens gefunden haben solltet, dann werdet Ihr auch eine positive Veränderung Eurer Kampfkunst wahrnehmen können, ganz gleich, ob es sich nun um den Formenlauf, anderes alltägliches Training oder um Partnerübungen (wie beispielsweise das Chi Sao) handelt.

Genießt einfach die Adventszeit und lasst Weihnachten zu dem geraten, als was es eigentlich ursprünglich gedacht gewesen ist - als ein Fest der Liebe.

In diesem Sinne wünscht Euch allen eine schöne, besinnliche und friedliche Adventszeit,

Euer Sifu Kai