Montag, 12. Januar 2015

Über die Verantwortung eines Kampfkunstlehrers

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Wissen um die Kampfkunst ist es ähnlich wie beim Handel mit gefährlichen Gegenständen oder Waffen - man sollte derlei nicht an jeden x-beliebigen Menschen weitergeben.

Immer wieder stoße ich auf Verwunderung oder gar Unverständnis, wenn ich offen eingestehe, dass ich nicht Jeden unterrichte. Vielmehr wähle ich meine Schüler sehr sorgfältig aus, und es kann durchaus passieren, dass ich Schüler, die mir während des Unterrichts unangenehm aufgefallen sind, vom weiteren Training ausschließe.

Wäre ich allein am Profit orientiert, wie es heutzutage leider in vielen Kampfsportschulen (vor allem bei den großen und marktwirtschaftlich erfolgreichen) der Fall zu sein scheint, dürfte ich freilich nicht so handeln.
Der Profit ist jedoch letzten Endes nur ein Nebenprodukt beim verantwortungsvollen Betreiben einer Kampfkunstschule. Im Vordergrund sollten eigentlich ganz andere Dinge stehen:

Die Veredelung des Charakters des Schülers muss schlussendlich folgende Resultate zeitigen:

- Eine Herausbildung von Pflichtbewusstsein und von Selbstbeherrschung

- Demut und Bescheidenheit

- Höflichkeit und Ehrgefühl

- Gerechtigkeitssinn und Weisheit

- Barmherzigkeit und Redlichkeit

- Mut und Ausdauer

Als Lehrer für Kampfkunst trage ich eine große Verantwortung.
Die Schüler werden mich nicht nur als Bewegungsvorbild (wovon sie sich ohnehin als Fortgeschrittene lösen sollen), sondern eben auch als Charaktervorbild ansehen.
Folglich muss mein Verhalten den Schülern gegenüber und auch in der Öffentlichkeit tadellos und unanfechtbar sein. Dass diese Forderung nicht immer einfach umzusetzen sein wird, steht außer Frage. Eben deshalb gilt es gerade für Lehrer / Meister der Kampfkunst, sich ständig selbst zu hinterfragen und kritisch das eigenen Handeln zu betrachten. Achte auf deine Gedanken, denn sie sind der Beginn deiner Taten!
Dieses Sprichwort erhält für Kampfkunstlehrer noch eine ganz gesteigerte Bedeutung.
Kein Mensch ist unfehlbar, und wer eine solche Unfehlbarkeit für sich selbst beanspruchen würde, dem könnte man allein schon dadurch seinen größten Fehl beweisen. Jeder Mensch kann jedoch tagtäglich danach trachten, das Gute zu tun und das Böse zu meiden.

Leider gibt es nun aber auch Menschen, die bereits für sich eine eindeutige Entscheidung für das Böse getroffen haben. Solche Leute gilt es für einen verantwortungsvollen Kampfkunstlehrer von der Kampfkunst fernzuhalten.
Ich persönlich würde niemals Menschen unterrichten, von denen ich vermuten müsste, dass sie die durch mich vermittelten Kenntnisse bewusst zum Nachteil anderer Menschen einsetzen könnten. Wer mit dem Vorsatz, Gewalt ausüben oder andere Menschen drangsalieren zu wollen, eine Kampfkunst erlernen möchte, muss gnadenlos abgewiesen werden. Die Kampfkunst darf einzig dem Schutz der Schwachen und Bedrängten dienen, niemals aber darf sie zu einem Instrument für Willkür und Terror entarten. Es ist die hehre Aufgabe eines jeden Kampfkunstlehrers, bei der Auswahl seiner Schüler diese oberste Gebot im Blick zu behalten.

Die allermeisten Gewaltverbrecher und Kriminellen wollen möglichst schnell zu einem Ergebnis gelangen. Da für das Erlernen einer Kampfkunst jedoch viel Zeit und Mühe veranschlagt werden muss, werden derlei Elemente ohnehin meist nicht von den Kampfkünsten angezogen.
Ein kleines Problem stellen da schon eher die großen, rein kommerziell orientierten KampfSPORTschulen dar, wobei ich keinesfalls alle über einen Kamm scheren möchte.
Nur ist es beispielsweise im Kickboxen leichter, innerhalb kürzerer Zeit Erfolge in Hinblick auf eine Straßenschlägertauglichkeit zu erzielen als in einer KampfKUNST.
Nicht jeder Kickboxer wird - gottlob! - zu einem Straßenschläger, vielmehr gedeiht die überwiegende Mehrheit dieser Sportler zu enthusiastischen Athleten mit allen Vorzügen.
Ich selbst habe schließlich früher Boxen und Kickboxen betrieben und bin Diplom-Trainer für Thai-Kick-Boxen. Demnach lasse ich auf diese Sportarten nichts kommen!

Was ich hier nur noch einmal verdeutlichen möchte ist das Problem des Massenunterrichts in einer Gruppe. Negative Charaktere werden in solch einer Gruppe besser untertauchen und sich verbergen können, bis sie die für ihre verwerflichen Ziele nötigen Fertigkeiten erlernt haben können. Es ist für einen Trainer in einer Sportschule äußerst schwer, wenn nicht nahezu unmöglich, in einer Gruppe von einem Dutzend oder mehr Schülern individuell auf die Belange jedes Einzelnen eingehen zu wollen. Folglich wird sich der Charakter der Schüler dem Trainer auch nicht wirklich offenbaren.
Nun kann man zu Recht anführen, dass dies ja auch gar nicht die Aufgabe eines Trainers in einer Sportschule ist. Und dann kann ich nur entgegnen: Eben, das ist ja das Problem.

Ich denke, ich habe nun meinen Standpunkt nachvollziehbar und klar verdeutlicht.
Nicht jeder wird sicher meiner Meinung sein, und das ist ja auch gut so, denn gerade die Vielfalt von Meinungen und Ansichten garantiert ja den lebendigen Diskurs zwischen den Menschen.

In diesem Sinne verbleibe ich wieder

Euer Sifu Kai