Sonntag, 1. Dezember 2013

Denkwürdigkeiten in der Kampfkunstwelt



Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem heutigen ersten Advent beginnt wieder eine Zeit des Innehaltens und der Besinnung.
Nach den vergangenen mitunter recht turbulenten Monaten möchte auch ich daher die Gelegenheit nutzen, in diesem neuen Beitrag die letzen Wochen und Monate Revue passieren und die werte Leserschaft daran teilhaben zu lassen.

Neben erfreulichen Erlebnissen im Rahmen von Fortbildungsseminaren und während einiger Begegnungen mit gleichgesinnten Kampfkünstlern mischten sich auch Erfahrungen darunter, die mich nachdenklich und betrübt stimmten. So musste ich beispielsweise bemerken, dass in der großen Kampfkunstszene nach wie vor Neid, Missgunst und Konkurrenzdenken die Herzen einiger Vertreter dieser Zunft mit der Bitterkeit der Galle verdüstern. Folglich habe ich zur Illustration des heutigen Beitrages auch zwei miteinander kämpfende Samurai (nach Hokusai) gewählt.
Anstatt die Losung „Miteinander statt Gegeneinander“ zu beherzigen, trachten einige Vertreter der Kampfkunst, die sich selbst „Meister“ oder „Sifu“ schimpfen, danach, ihren Kampfkunstbrüdern das Leben schwer zu machen oder gar deren Existenzen zu vernichten.
Da entbrennt beispielsweise ein Streit über eventuelle Urheberrechte an einem Text, der sich mit einem Thema befasste, zu dem offensichtlich mindestens zwei verschiedene Autoren ihre Auffassungen schriftlich und in öffentlicher Form dargelegt hatten. Doch anstatt diesen Disput auf würdiger Ebene zu regeln, wie es gestandenen Kampfkünstlern, die obendrein noch höhere Weihen empfangen haben, eigentlich geziemen würde, wird da von einer Seite sogleich mit der meist unsauberen und unschönen Bearbeitung durch einen Advokaten gedroht. Wenn alle Meinungsverschiedenheiten nach alter Väter Sitte offen und ehrlich zwischen Ehrenleuten ausgetragen werden würden, wie viele Juristen würden arbeitslos werden!
Wie dem auch sei – gegenüber einem solchen Wüterich erscheint es immer noch ratsam, das alte Sprichwort „Der Klügere gibt nach“ zu befolgen, zumal wenn es sich um ein Streitobjekt von so geringem Interesse handelt. Und so habe auch ich mich in dieser Sache an die Wing Chun – Grundregel vom Nachgeben gegenüber stark vorwärtspreschenden Kräften gehalten und habe in meinem ganzen Wesen einen Bong Sao gebildet...

Welche Motivation nun auch immer dahinter gesteckt haben mag, dass dieser „Sifu“ den Streit so herrisch und völlig konträr zu der von ihm vertretenen Kampfkunst Wing Chun mit mir gesucht hatte; ob es nun Frust ob seiner vielleicht nicht gut laufenden Schule gewesen ist oder ob er den (Selbst-)Hass als Folge des Endes einer Liebesbeziehung nach außen transferieren musste – wer zur Kompensation eigener Probleme danach trachtet, anderen Menschen das Leben zu vergällen, darf in meinen Augen nicht als respektabler Kampfkunst-Lehrer angesehen werden, da derartige Charakterfehler solche Leute zum Unterricht an Schülern in einer Kampfkunst, der immer deutlich höhere Ansprüche an den Lehrer stellt als beispielsweise die Tätigkeit lediglich als Trainer, meines Erachtens nach disqualifizieren.

Eine weitere Denkwürdigkeit während der letzten Monate bestand darin, dass mir mittelbar ein „Sifu“ begegnet ist, der für sich in Anspruch nimmt, „traditionelles“ Yip Man Wing Chun zu unterrichten und der dennoch ein Graduierungssystem für geboten erachtet, wo doch jedem, der sich mit den chinesischen Kampfkünsten beschäftigt, bekannt sein dürfte, dass es eben im gesamten Bereich des „Kung Fu“ keine Graduierungssysteme gegeben hat. Der Weg, den beispielsweise Leung Ting mit seinem eigenen Graduierungssystem beschritten hat, stellt eine Abweichung von der althergebrachten Auffassung im "Kung Fu" dar. Nun ist es jedoch so, dass in unserer westlichen Gesellschaft meist nach Qualifikationen und Nachweisen einer Befähigung gefragt wird, die sich eigentlich nur in der Qualität des Unterrichtes und in dem Verhältnis zwischen Schülern und Lehrer widerspiegeln könnte. Doch in den westlichen Kulturen wird dazu ja meist eine andere Auffassung vertreten. Somit sei besagtem Vertreter des Wing Chun seine – sicher auch von marktwirtschaftlichen Erwägungen geleitete – Vorgehensweise verziehen. Nur sollte man dann meiner Meinung nach nicht mehr davon reden, eine chinesische Kampfkunst auf „traditionelle“ Weise vermitteln zu wollen.

Weiterhin erfüllt mich mit großer Sorge ein Trend, der ganz sicher dazu führen wird, dass die Kampfkunst als solche immer weiter verwestlicht und damit einhergehend abgewertet werden wird. Wenn Kampfkunstschulen heutzutage in unserem Lande eine „Marketing-Beratung“ benötigen, um noch weiter existieren zu können, dann liegt hier etwas ganz gewaltig im Argen! Ich möchte hier nur kurz eine Aussage eines solchen „Marketing-Beraters“ präsentieren: „Es kommt zu einer Professionalisierung der Kampfkunstschulen. Nur noch welche mit perfektem Marketing werden überleben. Knallhartes Management und Qualitätscheck ist wichtig.“
Was soll man als Kampfkunst-Lehrer, der seine Schüler mit viel Herzblut zu betreuen bereit ist, von derartigen Aussagen halten? Solche „professionalisierten“ Schulen müssen doch unweigerlich zu Betrieben verkommen, wo die Schüler lediglich noch bloße Nummern als Verwaltungseinheiten darstellen, die jedoch die willkommenen finanziellen Entrichtungen als Gegenleistung zum einer Massentierhaltung gleichenden Unterrichtsbetrieb zu erbringen haben. Wo bleibt da der Mensch, wo das Individuum, wo die familiäre Atmosphäre, die doch gerade in der Kampfkunst so wichtig ist? Wie soll in einem solchen Klima die besondere Schüler–Lehrer–Beziehung gedeihen, welche die traditionellen Kampfkünste immer ausgezeichnet und den Kampfsportarten in ethischer Hinsicht überlegen hat wirken lassen?
Meine persönliche Auffassung über einen würdigen Kampfkunstunterricht schaut jedenfalls anders aus.

Mit diesen ernsten Gedanken verabschiede ich mich von meiner treuen Leserschaft für dieses Jahr und wünsche allen eine friedvolle und besinnliche Adventszeit sowie ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest. Mögen wir uns im nächsten Jahr in hoffentlich alter Frische hier wieder begegnen!

Euer Sifu Kai