ich möchte heute meine Gedanken über die Messerabwehr aus meinem letzten Blogbeitrag vom März noch einmal aufgreifen und weiterführen bzw. vertiefen.
Nachdem nun klar sein dürfte, dass eine realitätsorientierte Selbstverteidigung nicht auf Waffenabwehr (und besonders auf die Abwehr von Messerattacken) verzichten kann, soll nun auf die Frage eingegangen werden, wie diese Thematik am sinnvollsten in den Unterricht integriert werden könnte.
Die Grundlagen der Messerabwehr und deren Methodiken hatte ich bereits in meinem letzten Beitrag dargelegt, daher möchte ich heute ein wenig darauf eingehen, wie das Training der Messerabwehr möglichst realistisch ausfallen kann, ohne die Aktiven einer zu großen Gefahr auszusetzen.
Selbstverständlich darf nicht mit scharfen Klingen trainiert werden. Jedoch müssen Gummi-Übungsmesser abgelehnt werden, da sie weder ein realistisches Gefühl der Messerhandhabung noch eine realitätsnahe Möglichkeit eventueller Entwaffnungstechniken gewährleisten. Auch Übungsmesser aus Holz sehe ich eher kritisch, da diese nicht den optischen Reiz einer Klingenwaffe bieten. Daher favorisiere ich Übungsmesser aus Aluminium.
Um jedoch auch eine Kontrolle über die tatsächliche Wirksamkeit der eigenen Techniken zu haben, sollte ab und an mit Übungsmessern trainiert werden, deren Klinge sich einfärben lässt, so dass bei jedem Kontakt mit der Schneide eine farbliche Markierung am Körper des Abwehrenden und damit jeder Fehler bei der Abwehrhandlung sofort sichtbar wird. Dadurch werden Illusionen über die eigene Abwehrfähigkeit umgehend zunichte gemacht, eine Fehlerkorrektur kann dann gleich vorgenommen werden, da der Aktive die eigenen Fehler selbst vor Augen hat und daher auch viel eher für Kritik zugänglich sein wird, als wenn er immer noch der Meinung wäre, seine Techniken würden ernstfalltauglich sein.
Auf diese Weise konnten sogar schon erfahrene Kampfsportler, die bereits selbst jahrelang als Trainer für Selbstverteidigung fungierten, von ihrem bisherigen gefährlichen Irrwege abgebracht und zum Umdenken bewegt werden.
Derartige Markierungs-Übungsmesser sind seit einiger Zeit im Handel erhältlich und gehören meines Erachtens nach zum unerlässlichen Fundus an Trainingsausrüstung für alle Leute, die sich mit einer realitätsorientierten Selbstverteidigung beschäftigen.
Im Everyday Life Combat Reality Fighting werden für die Messerabwehr-Trainingseinheiten ausschließlich Übungsmesser mit einer Aluminiumklinge und Markierungs-Übungsmesser verwendet. Dadurch wird die größtmögliche Realitätsnähe im Trainingsbetrieb gewährleistet.
Ein Aspekt, der in vielen Selbstverteidigungssytemen vernachlässigt wird und der zugegebenermaßen auch nur schwer im Training zu thematisieren ist, liegt in dem Umstand gegründet, dass manche Messerattacken nicht als solche von vornherein zu erkennen sind. So sind diverse Beispiele bekannt, wo Leute sich in eine Schlägerei verwickelt sahen und erst später feststellen mussten, dass sie eine Stichverletzung davongetragen hatten. Besonders tragisch erscheint in diesem Zusammenhang der Fall eines Mannes, der in eine Schlägerei geraten war und im Anschluss daran ein Taxi mit dem Wunsch bestieg, nach Hause gefahren zu werden. Auf der Fahrt verstarb der Mann an inneren Blutungen. Er hatte während der Schlägerei einen Messerstich erhalten, und die Wunde blutete fast ausschließlich nach innen, da lebenswichtige Organe verletzt worden waren. Der hohe Adrenalinpegel und der Schock bewirkten obendrein, dass der Mann seine schwere Verletzung nicht bemerkte, bis es schließlich für ihn keine Rettung mehr gab.
Auch die Geschichte eines Polizeibeamten aus Denver sollte zu denken geben.
Im Frühjahr 2005 fuhr er Verkehrsstreife und hielt einen alkoholisierten Fahrer an. Der Mann zeigte sich völlig unkooperativ und weigerte sich fluchend, aus dem Auto auszusteigen. Der Beamte öffnete die Fahrertür und holte den Verdächtigen mit einem Twist Lock aus dem Wagen. Während er ausstieg, spürte der Polizist, dass sich der Verdächtige aus seinem Griff herauswand und zu einem Schlag gegen den Kopf des Beamten ausholte. Er blockte den vermeintlichen Schlag ab und unternahm mit seinem Ellenbogen einen Gegenangriff gegen den Kopf des Trunkenheitsfahrers. Dann hörte er etwas Metallenes zu Boden fallen und sah neben sich ein großes Klappmesser liegen.
Er legte noch ein paar Kniestöße nach und der Verdächtige ging zu Boden. Als er den Mann in der Untersuchungshaft ablieferte, fielen den Beamten die langen Narben und x-förmigen Schnitte auf der Brust des Mannes auf. Auf die Frage, wo er diese Narben herhabe, entgegnete der Verdächtige, dass er eine Menge Messerstechereien hinter sich habe. In der Akte des Mannes kam dann zum Vorschein, dass bereits 17 Verhaftungen, meistens wegen gefährlicher Körperverletzung durch Messerstiche, vorlagen. Dieser Mann wusste also, wie man mit einem Messer kämpft.
Der Polizeibeamte konnte von Glück reden, dass er seit Jahren im Krav Maga trainiert war und sich instinktiv richtig verhalten hatte. (1)
Es kann also durchaus vorkommen, dass man zwar einen Angriff wahrnimmt, aber überhaupt kein Messer sieht, obwohl dieser Angriff bereits mittels einer Klingenwaffe vorgetragen wird. Der Adrenalinkick und der oft damit verbundene Tunnelblick werden vermutlich dafür sorgen, dass man in einer tatsächlichen Notwehrsituation nicht in der Lage sein wird, Feinheiten und Details ausreichend zu registrieren, ebenso wie man in seiner Abwehr nicht mit feinmotorischen Aktionen oder komplizierten Technikfolgen wird agieren können. Dieser Umstand wird leider immer noch in vielen Kampfkunststilen und eben auch in Selbstverteidigungssystemen entweder ignoriert oder zumindest sträflich vernachlässigt.
In meinem vorigen Blogbeitrag wies ich auf die (nach wie vor gültige) Faustregel hin, dass man - eine weitere Distanz zwischen Angreifer und Verteidiger vorausgesetzt - bei einem tief gehaltenen Messer zum Zwecke der Kick Defense hoch und bei einem hoch gehaltenen Messer tief treten solle. Wenn man nun jedoch tatsächlich mit dem Tunnelblick zu kämpfen haben sollte und ein Angreifer entschlossen vorrückt, empfiehlt sich bei allen möglichen Angriffen ein mittiger Tritt. Wenn man ohnehin kein Messer sieht und daher auch nicht erkennen kann, wie es gehalten wird, für eine Entscheidung jedoch auch keine Zeit mehr bleibt, dann bleibt nur noch eine Möglichkeit: Einfach zutreten.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass man für ein möglichst realitätsorientiertes Training der Messerabwehr sämtliche allzu gestellten Szenarien vermeiden sollte.
Vielmehr ist eine Trainingsatmosphäre anzustreben, welche die Übenden einem hohen Stressfaktor aussetzt, um die Belastbarkeit für den Ernstfall zu erhöhen. Schnelle Übungsfolgen mit wechselnden Attacken durch unterschiedliche Trainingspartner können ebenso eine sinnvolle Methodik sein wie ein Üben bei schlechten Sichtverhältnissen (z.B. bei Dämmerlicht oder im Halbdunkeln) oder in simuliertem dichten Gedränge bei äußerst begrenztem Platzangebot. Weitere Raffinessen wie etwa der Einsatz von Kunstblut können die Trainingsatmosphäre in Hinblick auf die Stressresistenz noch einmal verschärfen.
Mit diesen Ideen und Anregungen verbleibe ich einmal mehr
Euer
Sifu Kai
Anmerkungen:
(1) Vgl. Levine, Darren und Whitman, John: Krav Maga. München 2014. S. 11.
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