Montag, 3. Juni 2013
Die Wechselwirkung zwischen Qi Gong und Kampfkunst. Teil II.
Liebe Mitlesende,
aufgrund meiner geplanten Urlaubsreise veröffentliche ich heute schon (und nicht erst wie gewohnt zur Mitte des Monats) den zweiten Teil meiner Arbeit über die Wechselwirkung zwischen Qi Gong und Kampfkunst.
Teil II.
Kampfsport als Irrweg?
Über das Abweichen vom Verständnis der traditionellen Kampfkünste
Aus der Kampfkunst entwickelte sich der sogenannte Kampfsport, der, wie der Name bereits besagt, den sportlichen Charakter besonders hervorzuheben bestrebt ist. Daraus resultiert auch der Umstand, dass getreu des westlichen Wettkampfdenkens Bewertungskriterien aufgestellt wurden., die keinerlei Beziehung mehr zu den klassischen Kampfkunstinhalten aufweisen.
Waren die esoterischen und spirituellen Praktiken untrennbar mit den Kampfkünsten verbunden, ja wurden gar ganz im Gegenteil zu der modernen Auffassung als weit wichtiger als die heute so wesentlichen formalen Übungen erachtet, so sind diese auf die Vervollkommnung des gesamten Menschen abzielenden und nicht nur moralische und gesellschaftliche Aspekte, sondern auch die philosophische Schule umfassenden Entwicklungen in der modernen Auffassung des Kampfsports praktisch gänzlich in Vergessenheit geraten.
Da die klassischen Techniken schwierig und nur langwierig zu erlernen sind – denn sie bedingen eine echte Wegverbindung zwischen Schüler und Lehrer und beinhalten weit mehr als die Form -, wurden sie von den früheren Meistern nur den fortgeschrittensten und treuesten Schülern gezeigt. Das hatte zur Folge, dass viele der schlecht ausgebildeten Schüler, was leider die Mehrzahl war, den Sinn der Kampfkünste in der formalen Übung erblickten. Daraus entstanden die modernen Auffassungen der Kampfkünste.5
Da in manchen Kampfkünsten Kampftechniken und Qi Gong zu einer neuen Einheit miteinander verwoben wurden, war die Bedeutung der einzelnen Bewegungen nur dem Meister und seinen besten Schülern bekannt. Die anderen Schüler übten rein formal, sie verstanden nur den körperlichen Aspekt der Bewegungen. So kam es, dass mit der Zeit viele der Qi Gong – Techniken als körperliche Kampftechniken interpretiert wurden, weil Uneingeweihte den Qi Gong – Bewegungen in den Formen einen kämpferischen Sinn zu geben begannen. Auf diese Weise werden unzählige Bewegungen in den heutigen Formen missverstanden, so dass dadurch leider wesentliche Inhalte verloren gingen, wodurch bis heute viele Kampfkünste zu einem oberflächlichen Sport verkamen. Die früher unbedingt angestrebte Einheit von Geist, Energie und Technik ist heute der Dominanz des Körperlichen gewichen, was ehedem in den Kampfkünsten noch als roh und unreif galt.
Viele Techniken des modernen Kampfsports beruhen nur noch auf körperlicher Stärke, die den Schwächeren unterdrückt. Wer sich langsamer bewegt, wird dem Schnelleren unterliegen. Das Kraftvolle wird das Schwache schlagen, und die langsame Hand muss der schnellen weichen. Dies alles sind aber nur angeborene Fähigkeiten, mit der Lehre von der Kultivierung und dem richtigen Einsatz des Qi hat dies keinerlei Verbindung und kommt ihr nicht gleich. Man braucht nur den Satz „mit vier Liang 1000 Pfund überwinden“ betrachten und wird deutlich erkennen, dass der Sieg mit Hilfe des richtigen Einsatzes von Qi keinesfalls von körperlicher Stärke abhängig ist. Man möge in diesem Zusammenhang nur an die Berichte über siebzig oder achtzig Jahre alte Meister denken, wie sie sich in zahlreichen historischen Aufzeichnungen finden lassen, die den gleichzeitigen Angriff mehrerer Gegner abwehren konnten. Dieses Vermögen hängt nicht mehr von der Schnelligkeit der Bewegungen alleine ab.6
Man könnte im Grunde die Behauptung aufstellen, dass die alte Idee von den Kampfkünsten nichts anderes war als eine Form des Qi Gong, die unter anderem auch einige wenige Verfahren zur Selbstverteidigung enthielt. In späteren Zeiten ist dieser Umstand oft missverstanden worden, und man hielt alles außer der reinen Kampftechnik (die deutlich zu erkennen war) für unnützes Beiwerk und ließ es einfach weg. Dem Verfasser dieser Arbeit sind während seiner langjährigen Beschäftigung mit diversen Budo-Stilen selbst öfters derlei ignorante Verhaltensweisen gegenüber einer von ihm persönlich angestrebten Vereinigung von Körper und Geist entgegengebracht worden...
Bis heute scheinen nur wenige Leute begriffen zu haben, dass die Folgen dieser Fehlinterpretation nicht nur die Verrohung einer Kunst, sondern auch Geistlosigkeit, schlechte Gesundheit und oft einfach nur Sinnlosigkeit hervorzurufen taugen.
Denn stellen wir uns die Frage, was denn von den ehemaligen Inhalten der Kampfkünste noch übrig geblieben ist, so fällt die Antwort ernüchternd aus:
Von den oben geschilderten Inhalten der Kampfkünste ist nämlich schlichtweg nichts übrig geblieben. Zwar werden ihre Formen nach wie vor verwendet, um Wettkämpfe zu gewinnen, um Prestige für das Ego zu erlangen, doch deren Sinn wird nicht hinterfragt. Obwohl die modernen Formen leer sind, weil der Geist der Ausübenden leer ist, und die Hoffnung auf Lebenserfüllung durch Kampfkunst sich stetig mehr in einer innere Not verwandelt, bleibt die unerklärbare Faszination bei den meisten Übenden und Aktiven doch erhalten und bewirkt eine nicht definierbare Liebe zu den Kampfkünsten, die vollkommen anders ist als in einem zeitgenössischen Sport. Der Grund dafür mag in der in jedem menschlichen Individuum verwurzelten Sehnsucht nach geistigem Wachstum, die uns über die Tiere erhebt, zu suchen sein, die zwar durch den heutigen schnelllebigen Alltag mit all seiner Reizüberflutung der westlichen Konsumgesellschaft zugedeckt wird, aber dennoch nie völlig überwunden werden kann.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage ob Kampfkunst oder Kampfsport heutzutage intensiver als jemals zuvor betrieben werden. Doch wie viele Menschen sind imstande, den mächtigen Unterschied zwischen der Kunst und dem reinen Sport zu verstehen und im bescheidenen und selbsthinterfragenden „Werden“ das einzulösen, was sie im egoistischen „Sein“ bereits erlangt zu haben vermeinen?
In unserem westlichen Kulturkreis sind die Kampfkünste in der Regel eine Domäne der jungen Menschen, da es dort meist um Wettkämpfe und die Steigerung der körperlichen Leistung geht. Die Bezeichnung „Sport“ ist vor diesem Gesichtspunkt durchaus angebracht. In den alten Systemen jedoch, die man am treffendesten als Kampfkunst bezeichnen sollte, wurde neben den körperlichen Aktionen ein großer geistiger und spiritueller Anteil in der Übung verlangt. Sie wurden als „Kunst“ bezeichnet, da es zwar für den Anfänger nötig war, die äußere Form (also die Techniken und Abläufe etc.) seiner Kunst zu erlernen, der Fortgeschrittene aber durch diese Form seine Individualität und Persönlichkeit auszudrücken bestrebt war.
Erst als die Kampfkünste in den Westen exportiert wurden, ging dieser Aspekt verloren, und der rein körperliche Anteil trat dafür in den Vordergrund.
Diese verfälschte Meinung über die Kampfkünste hat sich bis heute hartnäckig gehalten und wird noch von der Mehrzahl der Lehrer vertreten, weil auch sie es nicht anders gelernt haben. Daher haben sie das Gelernte versportlicht und den westlichen Auffassungen von Sport angepasst. Die negativen Folgen dieser eigenwilligen Kreation liegen nur zu oft deutlich vor Augen: Häufige Verletzungen, ungesunde Bewegungsweisen, die auf Dauer Schäden hervorrufen, und leider mitunter auch Verrohung zu Schlägertum.
Hinzu kommt noch, dass nur die wenigsten Kampfsportler ihren Sport bis ins Alter auszuüben in der Lage sind, weil sie meist aufgeben müssen, wenn sie mit der Trainingsgruppe nicht mehr mithalten können oder der Körper ihnen durch mehr oder weniger drastische Warnsignale zu verstehen gibt, dass er nicht länger gewillt ist, diesen Raubbau an der Gesundheit weiter zu tragen.
Die Meister, auf deren Tradition sich die Lehrer vieler Stile beziehen, haben ein hohes Alter erreicht und bis zum Schluß viel und gut geübt.
Doch ihre Übung war auch an den alten traditionellen Übungsinhalten orientiert, wo eine Verbindung zwischen geistiger Übung, Qi Gong, Meditation und Energieentwicklung gepflegt wurde. Eine Ausrichtung der Techniken an den westlichen Maßstäben des Sporttreibens war unüblich. Denn jede „gute“ Technik (also eine Technik, die effektiv ist und zugleich dem Übenden Gewinn bringt) kann angepasst an Alter und körperliche Situation verschieden, also individuell sein.7
Greifen wir noch einmal den Gedanken an die alten Meister auf, die selbst in hohem Alter noch imstande gewesen sind, ihre Gegner zu besiegen:
Man darf nicht vergessen, dass es in den Kampfkünsten kaum junge Meister gegeben hat. Um von den Schülern als Meister angesehen und respektiert zu werden, musste schon ein gewisses Alter erreicht worden sein, denn Meisterschaft war immer mit einem großen Erfahrungsschatz verbunden, den ein jüngerer Mensch schwerlich haben kann. Die alten Meister in den Kampfkünsten fielen meist damit auf, dass sie ihre Kunst zu ihrer wahren Essenz komprimiert hatten.
So waren es auch nicht Muskelkraft und Dynamik, die sie immer siegen ließen, sondern ihr geschärfter Blick für die Erfordernisse der Situation und ihrer schlichte und prompte Reaktion darauf. Viele der alten Meister wurden mit jedem Jahr stärker statt schwächer, da die innere Arbeit mit ihrer Vitalenergie und ihre Körperbeherrschung die rohe Gewalt der Jungen kompensierten.
So birgt auch jede Kampfkunst, die traditionell vermittelt wird, für jedes Alter das Richtige, und jung und alt können gleichermaßen das Richtige für sich dort finden.
Worin liegt also nun der entscheidende Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport ?
Man könnte es wie folgt ausdrücken: Körper und Geist sollten gleichermaßen an den Übungen beteiligt sein, um den Menschen als Ganzes zu kultivieren.
Entgegen der im Kampfsport verbreiteten Annahme gibt es keine äußere Technik, die nicht von inneren Übungen getragen wird. Es gibt aber viele Übende, die das nicht wissen oder aus Mangel an qualifizierter Ausbildung nicht in ihre Techniken umsetzen können. Jede äußere Übung (Wai gong) hat immer einen inneren Anteil an Geist- und Energielenkung (Nei gong), was sie zu Qi Gong werden lässt und grundsätzlich vom Sport unterscheidet. Alle Bewegungen der Kampfkünste müssen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Und darin liegt im wesentlichen der Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport.
So weit also erst einmal Teil II meiner Ausarbeitung.
Ich möchte nun noch darauf hinweisen, dass meine nächste Veröffentlichung in diesem Blog wahrscheinlich nicht vor Ablauf der ersten Dekade des Juli zu erwarten sein dürfte, da ich mich bis dahin in fernen Gefilden und ohne Zugriff auf das Internet befinden werde.
Ich freue mich jedoch schon darauf, alle Leserinnen und Leser dann hier wieder begrüßen zu dürfen, und verbleibe in diesem Sinne mit dem Wunsch auf einige schöne, sonnige Sommerwochen
Euer Sifu Kai
Samstag, 1. Juni 2013
Die gute Idee für den Monat Juni
Liebe Leser und Leserinnen,
auch wenn das momentane Wetter berechtigte Zweifel daran zulässt, so beginnt doch mit dem heutigen Datum der meteorologische Sommer. Und dementsprechend möchte ich für den Monat Juni anregen, möglichst viel Zeit im Freien zu verbringen.
Vergessen wir nicht: In diesem Monat werden die längsten Tage und die kürzesten Nächte stattfinden, und mit der Sommersonnenwende wird die Sonne schon wieder ihren Sinkflug beginnen, der uns dem nächsten Winter unaufhaltsam näherbringen wird. Auch der vielstimmige Gesang der Vögel wird gegen Ende des Monats merklich verstummen, und wie das Getreide auf den Feldern und die Früchte an den Bäumen ihrer Ernte entgegenreifen, so werden die Tage dann auch bald schon wieder fühlbar kürzer und die Zeit, die es uns gestattet, unsere Aktivitäten ins Freie zu verlegen, wird sich viel zu rasch wieder reduzieren.
Daher gilt es, jeden langen Sommertag zu nutzen und möglichst viele Beschäftigungen im Freien auszuüben.
Der Formenlauf gerät ebenso wie die Meditation zu einem viel nachhaltigeren und gesünderen Erlebnis, wenn man sich diesen Betätigungen an der frischen Luft widmet. Aber auch spezifische Kraft- und Elastizitätsübungen lassen sich bestens im Freien durchführen. Das Training mit dem eigenen Körpergewicht kann man an jedem Ort angehen, ebenso lässt sich Waffentraining (z.B. Langstock und Doppelmesser) hervorragend in der Natur umsetzen, wo man zusätzlich zu der Anreicherung des Blutes mit frischem Sauerstoff noch Energien aus der Umgebung (Qi) tanken kann.
Wer würde angesichts dieser Argumente noch das miefig-verschwitzte Fitnessstudio einem bewegungsreichen Aufenthalt an der frischen Luft vorziehen?
Mit diesen Anregungen und Denkanstößen verbleibe ich einmal mehr,
Euer Sifu Kai
Abonnieren
Posts (Atom)